Unsere Schule nimmt seit einigen Jahren an den Juniorwahlen teil. Die Juniorwahlen werden vom „Kumulus e.V.“, einer bürgergesellschaftlichen Initiative, angeboten und von privaten Stiftungen, vor allem aber von staatlichen und überstaatlichen Institutionen (wie z. B. dem Bund, den Landesministerien und dem EU-Parlament) finanziell unterstützt. Als „Deutschlands größtes Schulprojekt zur politischen Bildung“ (Homepage des Vereins) organisiert die Initiative seit 1999 bundesweit für Schulen kostenlose Juniorwahlen zu Europawahlen, Bundestagswahlen und Landtagswahlen. Die Ziele sind dabei nach Auskunft des Vereins u. a. das Interesse der Jugendlichen an Politik bzw. Meinungsbildungsprozesse zu fördern, das Urteilsvermögen zu stärken und Wertschätzung des demokratischen Systems zu vermitteln.
Im Rahmen unserer Teilnahme an dem Projekt hat unsere Schülervertretung unter Leitung von Herrn Rabe gemeinsam mit Herrn Bösche am Dienstag, 28.05.2024 eine Podiumsdiskussion zur Europawahl mit Vertretern der Parteien organisiert. Dabei waren alle Parteien eingeladen, die im letzten Europaparlament mehr als einen Sitz erringen konnten. Erschienen sind: Frau Dr. Proschmann (SPD), Frau Boßdorf (AfD), Frau Pollmann (Bündnis 90 / Die Grünen), Frau Dr. Bunse (CDU) und Herr Dr. Terwiesche (FDP). Nach einleitenden Worten unseres Schulleiters Herrn Brylak haben Mieke Müller und Paul Hatzelhöffer die Veranstaltung für die Schülervertretung moderiert. Sie folgten dabei einem Aufbau, bei dem den Anwesenden kurze Fragen gestellt bzw. Themen vorgegeben wurden, die diese z. T. mit einer engen Zeitvorgabe zu beantworten hatten. Eine Präsentation, die im Hintergrund des Podiums ablief, verdeutlichte dabei sowohl die Themen als auch die Zeitvorgaben für die Zuschauerschaft, die sich aus den Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 10 bis Q1 sowie Teilen des Kollegiums zusammensetzte.
Die freundliche und höfliche, aber dennoch „zeitstrenge“ Moderation der Schülersprecherin und des stellvertretenden Schülersprechers gestatteten es dabei, dass die Politikerinnen und der Politiker auf dem Podium knapp die Kernthesen des Wahlprogramms ihrer Partei vorstellen und sich auch in Ansätzen auf ihre Konkurrenten beziehen konnten. Nach der Einleitungsfrage zur eigenen Schulzeit, die den Beteiligten die Möglichkeit einer ersten Selbstdarstellung bot, betrafen die Fragen bzw. Anregungen der Moderatoren u. a. folgende Themengebiete: Ziele und Erfolge der EU, Europarlamentarismus, Gefahren für die Demokratie, Ukrainekrieg, Zuwanderung, Klima/Umwelt, „Dönerpreis“ und Drogenlegalisierung. Die Vertreter der Parteien konnten so in aller Kürze dem Publikum den Kern der EU-Programmatik ihrer Parteien darlegen, ohne auf andere Themen ihrer Wahl auszuweichen oder sich mit den anderen Parteien länger polemisch auseinanderzusetzen.
Der Plan der Veranstalter ist dabei im Ganzen aufgegangen: Die Schülerinnen und Schüler haben wirklich einen Eindruck der politischen Positionen und auch der unterschiedlichen „Typen“ von Politik erhalten können. Die finale Frage nach dem Sinn und der Bedeutung der EU zeigte dabei die ganze Breite der Auffassungen, die der Wahlentscheidung der Schülerinnen und Schüler zugrundeliegen kann: Auf der einen Seite sprach sich die Vertreterin von „Bündnis 90 / Die Grünen“, Frau Pollmann, für einen Bundesstaat als Fernziel aus, während Frau Boßdorf von der „AfD“ für einen eher regional orientierten Föderalismus eintrat.
Ebenso bedeutend wie das Plenum ist für die Vorbereitung der Juniorwahl das ergänzende Gespräch im Unterricht. Im Anschluss an die Diskussion konnten die Schülerinnen und Schüler in ihren Lerngruppen das Gehörte vertiefen und sich selbst zu den wahlrelevanten Fragen äußern. Zur Sprache kamen dabei vor allem ergänzende Aspekte, da die wahlkampforientierte Rede von Politikerinnen und Politikern notwendig inhaltlich verkürzt. Überhaupt wurde deutlich, dass die Darstellung der Politikerinnen und Politiker – ihre mitunter emotionale Rhetorik wie auch ihre sachliche Argumentation – immer vor dem Hintergrund ihrer Absicht, nämlich ihren Parteien Stimmen zu verschaffen bzw. selbst einen Platz im EU-Parlament zu erringen, interpretiert werden muss. Diskutiert wurde auch die Frage, was neben der Kenntnisnahme der Reden des Wahlkampfes einer Entscheidung für die Teilnahme an der Wahl und das Eintreten für eine bestimmte Partei begründen könnte, etwa das legitime Eigeninteresse, die genaue Kenntnis der möglichen Koalitionen und Programme, das Menschen- und Gesellschaftsbild der Parteien und die strategische Beurteilung des formaldemokratischen Funktionszusammenhangs.
Gerade durch die unterrichtliche Einbettung und die Kontextualisierung der Politikerrede ist die Teilnahme an den Juniorwahlen über den bloßen Wahlakt hinaus tatsächlich ein Beitrag zur Mündigkeit unserer Schülerinnen und Schüler. Denn politische Mündigkeit in einem inhaltlichen Sinne beruht v. a. auf der Möglichkeit, sich informiert positionieren, zwischen rhetorischer Manipulation und sachlicher Argumentation unterscheiden, politische Macht- und Darstellungszusammenhänge also kritisch reflektieren zu können.
Der Schülervertretung, Herrn Rabe und Herrn Bösche, den Moderatoren und den beteiligten Politikerinnen und Politikern sei herzlich für die gelungene Veranstaltung gedankt!
Dr. Yves Hellmuth